Magª Heike Podek in der Fratz& Co 10/2019 zum Thema „Mama, lass es mich selber machen!“

„Alleine machen“ zwei Wörter, die unsere beiden Töchter ungefähr im Alter von zwei Jahren zum ersten Mal und eine Zeitlang fast ausschließlich verwendeten.

Sie lehnten, wie fast alle Kinder ihres Alters unsere Hilfe komplett ab und wollten zeigen, was in ihnen steckt. Meistens werden die ersten Selbständigkeitsbestrebungen von Kindern natürlich gefeiert, denn alles, was das Kind ab jetzt alleine kann, müssen die Eltern nicht mehr machen. Trotzdem weiß natürlich auch jede Mama und jeder Papa, was es heißt, wenn die Dinge, die sich unsere Kinder vorgenommen haben, nicht funktionieren – dann ja dann brauchen wir oft starke Nerven, weil die Kinder ihrem Frust nicht selten in heftigen Wutanfällen kundtun. Außerdem gilt es auch immer abzuwägen, dass das, was die Kleinen selber tun wollen und dürfen für sie gefahrlos ist.

Für Eltern bedeutet also der Prozess des Selbständigwerdens einerseits, ihrem Kind Freiräume zu geben und es Dinge ausprobieren und machen zu lassen, ihm aber gleichzeitig zu vermitteln, dass sie da sind, wenn sie elterliche Hilfe brauchen.

Je älter Kinder werden, desto weiter wird der Radius, in dem sich ihre Kinder bewegen wollen. Bereits im Kindergarten äußern sie zunehmend eigene Ideen und Wünsche und beginnen manchmal sich mit ersten Freunden zu verabreden, aber: bis zum Schuleintritt brauchen sie in der Regel noch ihre Eltern dazu, die die nötige Organisation des Ganzen übernehmen.

Ab dem Schuleintritt werden die meisten Kinder mutiger und wollen immer mehr alleine machen. In diesem Alter nimmt auch der Einfluss der Freunde und Mitschüler zu und sie sehen, was andere schon können und/oder dürfen. So äußern viele den Wunsch, alleine zur Schule gehen zu wollen, andere wollen alleine etwas einkaufen gehen oder ohne Mama und Papa zum Spielplatz. Eltern sind hier gefordert, weil sie abwägen und schließlich eine Entscheidung treffen müssen.

Aber was und wieviel können Eltern ihren Kindern überhaupt zutrauen?

Damit Kinder selbstständig werden können, müssen Eltern bereit sein, loszulassen. Dieses Loslassen ist für einige Mamas und Papas nicht so einfach und kann auch schmerzhaft sein. Ich erinnere mich noch gut daran, wie unsere große Tochter in den Kindergarten ging und ich draußen plötzlich mit völlig gemischten Gefühlen stand: Einerseits stolz und froh, weil ich wusste, dass ihr das Spielen mit anderen Kindern in der Gruppe großen Spaß machte, andererseits auch etwas wehmütig und traurig, weil mein „Baby“ schon so groß war, mich weniger brauchte und ich wusste, dass ich ab jetzt nicht mehr alle ihre Erfahrung mit ihr teilte…

Natürlich wollen alle Eltern, dass ihr Kind sich weiterentwickelt und aus der elterlichen Abhängigkeit herauswächst, so dass es, wenn es erwachsen ist, ausziehen, einen Beruf ergreifen und selbst eine Familie gründen kann. Doch der Weg dahin ist nicht immer leicht und einfach und manchmal durch kleine Stolpersteine gepflastert. Sind Eltern zunächst ganz für die Erfüllung kindlicher Bedürfnisse verantwortlich, können Kinder diese mit zunehmendem Alter immer mehr selbst übernehmen. Zusammengefasst bedeutet das: Alles, was das Kind noch nicht selber tun kann, muss von den Eltern getan werden – alles, was ein Kind schon selbst tun kann, braucht von den Eltern nicht mehr getan zu werden.

In der Regel kennt niemand das eigene Kind so gut wie die Eltern und hat seine Entwicklung so genau vor Augen. Wann ein Kind bestimmte Dinge, wie sich das Brot schmieren, auf die Toilette gehen, ein Glas Wasser einschenken, den Schulweg alleine gehen, für die Hausübung verantwortlich sein, selbständig kann, lässt sich nicht an einem bestimmten Alter oder Zeitpunkt festmachen. Auch Vergleiche mit anderen sind oft nicht ratsam, weil Kinder oft sehr unterschiedlich sind und sich unterschiedlich entwickeln. Vielmehr sollte man auf sich am Entwicklungsstand des eigenen Kindes orientieren und auch abschätzen, ob es sich das Kind selbst zutraut.

Wie entscheide ich, was mein Kind darf und was nicht?

Ein Patentrezept dafür gibt es leider nicht, fast immer aber eine gesunde Mischung aus Vertrauen, Abwägen von Pro und Contra und Bauchgefühl.

Vertrauen

Oft ist es hilfreich, sich die Frage zu stellen: Was traue ich meinem Kind zu?
Bei der Beantwortung komme ich zum einen auf den von mir als Elternteil vermuteten Reife- und Entwicklungsstand meines Kindes. Zum anderen bin ich mit meinem Vertrauen in mein Kind konfrontiert.
Indem Sie ihrem Kind Vertrauen schenken, machen sie es nicht länger klein, sondern sehen seine Größe, seine Stärken und Talente. Muten Sie ihm doch einfach zu, die altersgemäßen Herausforderungen des Lebens zu meistern und signalisieren Sie ihm, dass sie da sind, wenn es Hilfe braucht. Natürlich kann es passieren, dass ihr Kind ihr Vertrauen missbraucht und sie enttäuscht. Gerade dann aber gilt es, ihre Sorgen zu besprechen, Frieden damit zu machen und neues Vertrauen in ihr Kind zu investieren. Und zwar, dass das, was sie gesagt und erklärt haben angekommen ist und ihr Kind in Zukunft daraus lernen wird. Und dann geben sie ihm eine neue Chance – denn nur so kann es weiterwachsen.

Abwägen von Pro und Contra

Stellen Sie sich als nächstes die Frage: Was mute ich meinem Kind zu? Wo glaube ich, braucht es Kontrolle und Fürsorge?
Hier geht es vor allem darum Risiken abzuwägen und auch mögliche Gefahrenquellen ausfindig zu machen und gegebenenfalls zu entschärfen.
Hier kann es wichtig sein, einen Notfallplan zu entwerfen. Was ist also, wenn ihr Kind z.B. den Hausschlüssel vergessen, verloren hat und zu Hause nicht reinkommt? Die Lösung könnte sein, dass es zur Nachbarin geht, bei der ein Hausschlüssel deponiert ist.
Hier können Sie auch Kompromisse finden: Du gehst den Schulweg eine Woche „halballeine“ – und sie als Elternteil gehen einige Meter hinter ihrem Kind, um zu schauen, wie ihr Kind sich beim Überqueren der Straße verhält. Oder sie lassen ihr Kind anfangs nur mit einem Freund gemeinsam gehen.
Möglichweise haben sie auch festgestellt, dass sie ihrem Kind seinen Wunsch nicht erfüllen möchten, weil sie den Eindruck haben, dass es noch nicht reif genug dafür ist. Dann gilt es ein Gespräch zu führen, was sie nun aber mit guten Argumenten belegen können, so dass ihr Kind ihre Entscheidung besser nachvollziehen kann.

Erfahrungen machen lassen

Ein Kind braucht Erfahrungen, um seine eigenen Grenzen kennen zu lernen.
Es geht also im nächsten Schritt darum, sich zu überlegen: Was lasse ich an kindlicher Autonomie zu?
Schaffen sie einen Rahmen, indem das Kind seine eigenen Erfahrungen sammeln kann, ohne es zu bremsen. Natürlich kann es passieren, dass Kinder sich dabei auch mal wehtun: die Kleinen fallen bei ersten Gehversuchen oft einfach um und fangen sich auch mal eine Beule ein, die Größeren verletzen sich bei Stürzen vom Rad oder beim Klettern auf Bäumen. Und auch wenn man sein Kind am liebsten vor Verletzungen schützen und in Watte packen möchte, ist es wichtig, dass Kinder Gefahren kennen lernen, denn nur so können sie entsprechende Vorsicht lernen.
Ebenso groß ist die Versuchung, seinem Kind am Spielplatz beim Klettern zu helfen, wenn es frustriert ist, weil es nach dem dritten Anlauf immer wieder abgerutscht ist. Widerstehen Sie dennoch, denn dadurch würden Sie ihrem Kind eine ganz wichtige Lernerfahrung nehmen: nämlich die mit Frust und Niederschlägen umzugehen!
Helfen sie Ihrem Kind erst dann, wenn es sie von sich aus darum bittet.

Ruhe bewahren!

„Mein Kind kann schon…“ – nichts setzt Eltern mehr unter Druck und Stress als Vergleiche mit anderen Kindern. Lassen sie sich nicht davon aus der Ruhe bringen, wenn das gleichaltrige Kind der Freundin schon mehr spricht oder schon windelfrei ist. Jedes Kind entwickelt sich in seinem eigenen Tempo und mit unterschiedlichen Vorlieben. Ein paar Monate oder Jahre später, sind diese Vorsprünge bei gesunden Kindern aufgeholt und die Kinder in wichtigen Kernbereichen nahezu gleich entwickelt.

Zum Abschluss:

Selbstständig und unabhängig werden Kinder nicht von alleine! Sie benötigen dazu die Unterstützung von uns Eltern: Loslassen und Begleitung!
Engen Sie Ihr Kind zu sehr ein, traut es sich selbst wenig zu und verliert irgendwann vielleicht die Lust, Dinge selber machen und sich auszuprobieren zu wollen. Lassen sie es allein, fällt es ihm schwer, seine Kompetenzen und Gefahren einzuschätzen und ist schnell überfordert.
Deshalb geben sie ihrem Kind Freiraum und seien sie als sicherer Hafen zur Stelle, wenn ihr Kind ihre Hilfe oder Unterstützung benötigt.

Ich hoffe, Dir hat mein Artikel gefallen! Besonders ans Herz legen möchte ich Dir meine Artikel zu den Themen „Schwierige Phasen meistern“ und Aufräumen ohne Stress

Wenn Du Unterstützung bei Erziehungsproblemen suchst, schau Dir mein Angebot an. Egal ob Trotzphase, Pubertät, Schulprobleme, … ich biete Live-Coaching, eMail-Coaching und eMail-Kurse als Hilfestellung an. Die eMail-Kurse zu den Themen „Trotzphase“ und „Hilfe- mein Kind will nicht hören“ sind besonders beliebt.

Du kannst mir natürlich auch direkt schreiben und ich freue mich auch über Feedback zu meinem Artikel!

Deine Heike

Heike Podek | Erziehungswissenschaftlerin, Coach und Gründerin von beziehungsorientiert.at

Ich glaube, dass Erziehung ohne den Einsatz von Angst und Macht funktionieren kann. Ich will ich einen beziehungsorientierten Umgang mit meiner Familie leben, in der sowohl die Bedürfnisse unserer Kinder, als auch unsere elterlichen Bedürfnisse Platz und Raum haben.

Heike Podek | Erziehungswissenschaflerin, Coach und Gründerin von beziehungsorientiert.at

Ich glaube, dass Erziehung ohne den Einsatz von Angst und Macht funktionieren kann. Ich will ich einen beziehungsorientierten Umgang mit meiner Familie leben, in der sowohl die Bedürfnisse unserer Kinder, als auch unsere elterlichen Bedürfnisse Platz und Raum haben.