Magª Heike Podek in der Fratz & Co 04/2016 zum Thema: „Großer Schritt – guter Start“

„Lisa ist 3 Jahre und darf nun endlich in den Kindergarten gehen. Sie freut sich schon riesig, hat aber auch ein bisschen Angst, weil ihre Mama ihr erzählt hat, dass sie dort „alleine“ mit den anderen Kindern bleiben muss. Auch Lisa’s Mama ist zwiegespalten: Einerseits freut sie sich, dass Mia jetzt schon so groß ist, und sie sich vormittags dann um andere Dinge kümmern kann, andererseits hat sie auch Sorge, ob Lisa diesen Schritt bereits alleine schaffen wird, ob sie Freunde findet und sich gut im Kindergarten einlebt.“

„Fabian hingegen hat bereits sein letztes Jahr im Kindergarten hinter sich und kommt nach den Sommerferien in die Schule. Er freut sich riesig darauf, Lesen, Schreiben und Rechnen zu lernen. Von seinem großen Cousin hat er allerdings auch schon oft gehört, dass die Schule blöd oder langweilig ist. Fabians Eltern fragen sich, ob er die bevorstehenden Veränderungen, die die Schule mit sich bringt, meistern wird.“

Egal ob Kindergarten- oder Schulbeginn, beide Familien befinden sich in einer sogenannten Übergangssituation, in der es darum geht, die Kinder ein Stück weit mehr loszulassen und ihnen mehr Selbständigkeit zuzumuten. Diese Phasen stellen immer für alle Beteiligten eine große Herausforderung dar.

Wenn ein Kind auf die Welt kommt, ist es anfangs zu 100% schutzbedürftig und von uns Eltern abhängig. Gerade in dieser Zeit ist es wichtig, dass ihre Eltern ihnen alle Bedürfnisse erfüllen und somit den Grundstein für eine sichere und stabile Bindung schaffen.

Mit zunehmendem Alter will das Kleinkind dann immer mehr Dinge selber machen. Es übt mit Feuereifer greifen, fällt x Mal hin, um gleich wieder aufzustehen und das Laufen zu lernen, will nicht mehr gefüttert werden, sondern selber essen und vieles mehr.

Ihren ersten Höhepunkt erreicht der kindliche Drang nach Autonomie in der sogenannten „Trotzphase“, in der einer der meisten Sätze des Kindes lautet: „Selber machen“.

Eltern fällt es in dieser Phase nicht immer leicht, ihren Sprösslingen so viel Eigeninitiative zu übergeben, einfach aus dem Grund, dass es manchmal ewig dauert, bis z.B. die Schuhe angezogen sind. Auch spüren Eltern in dieser Zeit oftmals zum ersten Mal, dass sie für ihre Kinder nicht mehr unabkömmlich sind.

Spätestens aber mit Beginn in die Krippe oder den Kindergarten ist dann klar, jetzt müssen Mama und Papa ihr Kind ein ganzes Stück weit loslassen.

Loslassen ist oftmals gar nicht so leicht

…denn alle Eltern wollen, dass es ihren Kindern gut geht und sie beschützen. Entsprechend würden sie sie natürlich am liebsten den ganzen Tag selbst beaufsichtigen, um sicher zu gehen, dass ihnen nichts passiert. Auf der anderen Seite wissen die meisten Eltern aber auch, dass zu viel Festhalten nicht förderlich für die eigenen Kinder ist und sich sogar entwicklungshemmend auswirken kann.

Ein erster sehr massiver Einschnitt hinsichtlich des Loslassens ist für Eltern in der Regel der Schritt, wenn das Kind regelmäßig eine Krippe oder einen Kindergarten besucht. Plötzlich merken wir, dass wir zumindest stundenweise nicht mehr am Leben unserer Kinder beteiligt sind und nicht jeden Schritt mitkriegen, den sie in dieser Zeit machen. Ganz im Gegenteil machen unsere Kinder eigene Erfahrungen in einer „neuen“ Umgebung mit anderen Kindern und Erwachsenen. Unser Kind hat dann auf einmal Erlebnisse, die es mit anderen Menschen, nicht aber nur mehr mit uns alleine teilt. Und letztlich nimmt auch der eigene Einfluss auf das Kind immer mehr ab.

Mit Eintritt in die Schule kommen weitere Herausforderungen dazu, denn anderes als im Kindergarten  gelten nun verbindliche Anwesenheitszeiten, es wird mehr Selbständigkeit vom Kind gefordert und es kommen gezielte Leistungsanforderungen auf das Kind zu.

Mit zunehmendem Alter  – in der Pubertät, in der Jugendzeit bis hin zu ersten eigenen Arbeit – nimmt diese Eigenverantwortung unserer Kinder immer mehr zu und wir müssen unserer Kinder immer ein Stück mehr in ihr eigenen Leben entlassen.

Gerade für Eltern ist es wichtig, sich mit dem Prozess des Loslassens auseinanderzusetzen, denn wenn Eltern nicht bereit sind, ihre Kinder loszulassen und große Zweifel haben, besteht die Gefahr, dass sich ihre Unsicherheit auf die Kinder überträgt. Je positiver Eltern die wachsende Autonomie ihrer Kinder sehen können, umso leichter gelingt das Loslassen.

Kinder auf das Loslassen vorbereiten

… ist im Grunde unnötig. Der Drang nach Selbständigkeit ist tief in uns Menschen verankert und Kinder sind von klein auf neugierig und haben Spaß daran, zu wachsen, zu lernen und sich auszuprobieren. Hilfreich kann es allerdings sein, sein Kind schon vor dem Kindergarten daran zu gewöhnen schrittweise ein paar Stunden oder auch mal ein Wochenende bei Großeltern, Freunden oder Bekannten zu sein. Während das Kind die Erfahrung macht, selbständig an einem Ort zu sein und dort eigene Eindrücke zu sammeln, können wir Eltern uns daran gewöhnen, dass unsere Kinder viele Dinge schon alleine schaffe, die wir ihnen manchmal noch gar nicht zutrauen.

Eltern sollten bei ihren Kindern Freude an der eigenen Entwicklung zulassen

Das gelingt im Alltag ganz einfach dadurch, dass wir die Wünsche unserer Kinder, Dinge selbständig machen zu wollen, bejahen sollten. Dabei geht es darum, unseren Kindern vielmehr zuzutrauen, kleine alltäglich Dinge alleine zu  meistern –  sei es ein Glas alleine einzuschenken, auf dem Spielplatz den vermeintlich zu hohen Turm zu erklimmen oder auch ein Eis alleine kaufen zu dürfen. In all diesen Situationen lernt das Kind, Situationen einzuschätzen und zu bewerten.

Konkret in Bezug auf den Kindergarten oder die Schule sollten Eltern authentisch sein und die Fragen der Kinder ehrlich beantworten. Dabei ist es wenig hilfreich, die Schule in den schönsten Farben zu schildern (du lernst Lesen und Schreiben und findet schnell neue Freunde…) oder gar Ängste zu schüren (jetzt beginnt der Ernst des Lebens…), sondern es sollte einfach ein realistisches Bild aufgezeigt werden: „Manchmal macht die Schule Spaß, manchmal ist es langweilig, manchmal spannend. Einige Dinge sind ganz leicht, bei anderen dauert es ein bisschen, bis du sie verstehen wirst usw…“

Kasten/ Checkliste: So ermutige ich mein Kind, anstatt es zu verunsichern

  • Auseinandersetzung mit der Autonomie meines Kindes
    • Mach doch mal folgendes Gedankenexperiment und stell dir vor, dein Kind teilt dir mit 18 Jahren mit (dann ist es gesetzlich volljährig), dass es nach Australien auswandern wird. Was möchtest du ihm bis dahin mitgeben? Was sollte es im Laufe seines Lebens an Fähigkeiten erlernen? Was kann ich  ihm in welchem Alter zutrauen und zumuten?
  • Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle/ Identität
    • Als Elternteil macht es Sinn, sich mit der eigenen Rolle und Identität in Bezug auf die wachsende Selbständigkeit seines Kindes auseinanderzusetzen und sich in Bezug auf eigene Befürchtungen, Sorgen und Ängste bewusst zu werden, um das Kind nicht zu verunsichern. Habe ich das Gefühl, keine Aufgabe mehr zu haben, wenn mein Kind gut in der Schule angekommen ist und seine Sachen selbständig erledigt, werde ich die Autonomie schwerer zulassen können, als wenn ich mich auf die Zeit freue, die ich durch die Selbständigkeit meines Kindes möglichweise für mich oder andere Aufgaben gewinne. Ebenso trägt eine positive Sicht des Kindergartens/ der Schule, als einen Ort, an dem sich mein Kind gerne aufhält und Spaß hat, maßgeblich dazu bei, dass sich das Kind dort wohl fühlt und sich ermutigt fühlt.
  • Loslassen und dann?
    • Einfach nur etwas Loslassen ist für viele Menschen eine eher befremdliche und unangenehme Vorstellung, weil es beim Loslassen zunächst auch einmal um so etwas wie Verlust geht. Kein Wunder also, dass viele sich damit nur ungern auseinandersetzen möchten. Um dennoch konstruktiv mit diesem Thema umzugehen, macht es Sinn sich damit zu beschäftigen, was du gewinnst, wenn du dein Kind mehr und mehr in seine Selbständigkeit und sein Leben entlässt. Durch diese positive Fokussierung ermöglichst du dir und deinem Kind sich frei entfalten zu können.
  • Offenheit und Interesse an der wachsenden Selbständigkeit des Kindes
    • Wie weiter oben bereits angedeutet, kann ich gleich zu Beginn den Wunsch und Drang meines Kindes nach Selbständigkeit im Kern ersticken wenn ich mein Kind wiederholt davon abhalte eigene Erfahrungen zu machen. Viele Eltern tun dies im Alltag nicht aus böser Absicht, sondern einfach weil es anstrengend erscheint, den vielen kleinen Bestrebungen nach Autonomie immer nach zu kommen. Das muss auch nicht sein, aber dennoch unterstützt es dein Kind massiv, wenn du ihm so wenig wie möglichst abnimmst und es so viel möglich selbst ausprobieren und machen kann.
  • Authentische Kommunikation
    • Eine authentische und beziehungsorientierte Kommunikation ist nicht nur Voraussetzung für eine gute Gesprächskultur innerhalb der Familie, sondern auch für eine vertrauensvolle Bindung, mit deren Hilfe Loslösung für beide Seiten leicht gelingen kann. Ermutige dein Kind dazu, mit dir in einer persönlichen Sprache zu sprechen, bei der beide Seiten ihre Bedürfnisse und Wünsche klar formulieren können und sich daraus dann gemeinsame Kompromisse oder Lösungen entwickeln.

Ich hoffe, Dir hat mein Artikel gefallen! Besonders ans Herz legen möchte ich Dir meine Artikel zu den Themen Wut und Aggression, Konflikte und Schulprobleme.

Wenn Du Unterstützung bei Erziehungsproblemen suchst, schau Dir mein Angebot an. Egal ob Trotzphase, Pubertät, Schulprobleme, … ich biete Live-Coaching, eMail-Coaching und eMail-Kurse als Hilfestellung an. Die eMail-Kurse zu den Themen „Trotzphase“ und „Hilfe- mein Kind will nicht hören“ sind besonders beliebt.

Du kannst mir natürlich auch direkt schreiben und ich freue mich auch über Feedback zu meinem Artikel!

Deine Heike

Heike Podek | Erziehungswissenschaftlerin, Coach und Gründerin von beziehungsorientiert.at

Ich glaube, dass Erziehung ohne den Einsatz von Angst und Macht funktionieren kann. Ich will ich einen beziehungsorientierten Umgang mit meiner Familie leben, in der sowohl die Bedürfnisse unserer Kinder, als auch unsere elterlichen Bedürfnisse Platz und Raum haben.

Heike Podek | Erziehungswissenschaflerin, Coach und Gründerin von beziehungsorientiert.at

Ich glaube, dass Erziehung ohne den Einsatz von Angst und Macht funktionieren kann. Ich will ich einen beziehungsorientierten Umgang mit meiner Familie leben, in der sowohl die Bedürfnisse unserer Kinder, als auch unsere elterlichen Bedürfnisse Platz und Raum haben.