„Ich, Ich , Ich…
„Der kleine Moritz (5) ist auf dem Geburtstag seines Kindergartenfreundes eingeladen. Er hält es kaum aus, dass er nicht die Kerzen ausblasen und die Geschenke auspacken darf. Auch dass an diesem Tag das Geburtstagskind selber bei allen Spielen beginnt, ist für ihn nur schwer zu ertragen. Immer wieder drängt er sich in den Vordergrund und versucht sich in den Mittelpunkt zu stellen. Als er schließlich auch noch beim Abendessen nicht als erster etwas bekommt, zuckt er völlig aus und reagiert mit einem heftigen Wutanfall.“
Nicht nur Moritz, sondern immer mehr Kinder scheinen heute zu kleinen „Egoisten heranzuwachsen und nur auf sich und ihren eigenen Vorteil bedacht zu sein. Da fallen Sätze, wie „Das gehört mir…“ „Ich will…“, „Niemand darf das haben, das ist meins.“ u.ä..
Und auch in unserer Gesellschaft scheint es Konsens zu sein dass wir egoistisch sein müssen, um unsere Ziele zu erreichen und uns nicht von anderen überrollen und bestimmen zu lassen. Immer mehr zeichnet sich eine Individualisierung und Wettbewerbsorientierung ab, in der von Beginn an Leistung zählt. Mütter sind in Rivalität mit anderen Müttern darüber, was ihr Baby bereits kann, Kindergartenkinder lernen schon schreiben und rechnen, Erfolge in der Schule, in der Freizeit und natürlich auch später im Beruf haben oberste Priorität. Anstatt im Team voranzukommen, heißt es, sich alleine durchzukämpfen und der Erste, der Beste und der Größte zu sein. Die Zweiten haben nicht selten schon verloren.
Doch ist es wirklich das, was wir unseren Kindern für die Zukunft mitgeben wollen? Wollen wir sie zu rücksichtslosen Egoisten, zu einsamen SiegerInnen erziehen, die glauben sie seien allein auf der Welt?
Egoismus bezeichnet eine Haltung, die gekennzeichnet ist, durch das Erlangen von Vorteilen für die eigene Person, nach Erfüllung von eigenen Wünschen ohne Rücksichtnahme auf Andere. Im Zentrum steht also das „Ich“ und somit ist auch der Fokus auf das Selbst gerichtet. Egoistische Menschen haben kein besonderes Interesse an ihren Mitmenschen, wenn dies nicht ihrem Vorteil dient. Sie legen keinen Wert darauf, Gefühle und die Denkweise von anderen Menschen zu verstehen oder sich selbst mit den Augen des Gegenübers zu sehen. Ichlinge sind ichbezogen.
Wer allerdings nun glaubt, der Egoismus habe nur Nachteile irrt sich gewaltig, denn Menschen, die ichbezogen sind, sind viel enger mit ihren eigenen Wünschen und Zielen verbunden und besitzen eine Gradlinigkeit, das anzupeilen, was als wichtig und richtig empfunden wird.
Eine Fähigkeit, also, die wir uns sehr wohl für unsere Kinder wünschen…
Das Gegenteil von Egoismus ist die Empathie
Das Wort Empathie leitet sich aus dem griechischen Pathos (das Leid) ab und bedeutet mitleiden, mitfühlen. Man versteht dementsprechend unter Empathie das Verstehen und das Vermögen, die Gefühle, Konflikte und Einstellungen unserer Mitmenschen zu erkennen und sie gefühlsmäßig nachvollziehen zu können. Dabei steht die Liebe und Verbundenheit mit anderen im Mittelpunkt des eigenen Erlebens und der Fokus liegt auf den Anderen.
Unser ganzes Leben lang brauchen wir andere Menschen, die sich mit uns freuen, an denen wir uns reiben, mit denen wir an gemeinsamen Zielen arbeiten. Wir müssen Position beziehen, andere Positionen verstehen und nach Lösungen suchen können, die für alle fruchtbar sind. Ein soziales Netz aufbauen, damit jemand da ist, wenn es uns schlecht geht und wir Unterstützung und Hilfe brauchen. Mit Empathie gelingt dies.
Die Fähigkeit zur Empathie ist angeboren,
jedoch nicht die Empathie selbst, denn diese muss sich erst entwickeln. Sie ist abhängig von der Reife unseres Gehirns und tritt erst ab dem 4-5 Lebensjahr in Kraft.
Dennoch können wir bereits bei Säuglingen entdecken, dass diese sich z.B. vom Lachen ihrer Eltern anstecken lassen oder ebenfalls zu weinen anfangen, wenn sie andere Kinder weinen sehen oder hören. Dieses Phänomen, das fachsprachlich als „Gefühlsansteckung“ bezeichnet wird, hat allerdings noch wenig mit Mitgefühl oder Empathie zu tun.
Im Alter von ca. 18 Monaten beginnen Kindern dann allmählich zwischen sich und anderen zu unterscheiden und machen erste Erfahrungen mit den Gefühlen anderer Menschen. In dieser Phase spüren die Kinder zwar bereits den Kummer/ die Freude ihres Gegenübers, zeigen ihr „Mitgefühl“ aber noch dadurch, dass sie z.B. der traurigen Mama ihren Schnuller oder ihr Lieblingskuscheltier bringen – also, dass was sie sich in der gleichen Situation wünschen würden.
Bis etwa zum 3. Lebensjahr nimmt die Selbstbezogenheit immer weiter ab und das Mitgefühl steigt.
Mit 3-4 Jahren beginnen Kinder schließlich zu lernen, sich in andere einzufühlen und sie begreifen, dass Menschen unterschiedliche Bedürfnisse haben. „Auch wenn mir ein Schnuller zum Trost helfen würde, möchte die Mama lieber was anderes.“
Parallel dazu gewinnen Kinder auch die Erkenntnis, dass nicht alle Menschen Hilfe oder Mitgefühl verdienen. Schon mit etwa 4 Jahren trösten Kinder nur noch diejenigen, die es aus ihrer Sicht auch verdienen, also z.B. kleineren Kindern, jemanden, der sich weh getan hat, vertrauten Personen u.ä.
Hier ein Beispiel für empathisches Verhalten: Morgens beim Frühstück im Kindergarten. Die kleine Lea, die noch nicht lange da ist, beginnt plötzlich zu weinen. Maria (4) steht auf, geht zu ihr rüber, legt ihr einen Arm auf die Schulter und sagt: „Die Mama kommt eh wieder.“
Empathie gilt als Voraussetzung für ein erfülltes und erfolgreiches Leben, aber:
Wer sich selbst nicht spürt seine eigenen Gefühle nicht kennt oder wahrnimmt, kann sich auch nicht in andere hineinfühlen.
Wie also das richtige Maß finden???
Wir Eltern wollen weder Kinder, wie Moritz (Beispiel am Anfang), der nur auf sich fixiert ist und nicht in der Lage ist, sich in andere Kinder hineinzuversetzen und zu teilen.
Noch wollen wir Kinder, die ausschließlich zurückstecken und vor lauter Empathie sich selbst und ihre eigenen Bedürfnisse vergessen.
3 Tipps, damit dein Kind lernt, sich einerseits sozial zu verhalten, andererseits aber auch einen gesunden Egoismus zu entwickeln:
- Kontakt zu anderen Kindern
Ermögliche deinem Sohn/deiner Tochter regelmäßigen Kontakt zu anderen Kindern, denn im gemeinsamen Miteinander lernen Kinder auf spielerische Art und Weise, sich in andere einzufühlen.
„Die kleine Emma (3) nimmt ihrer Freundin Kira (3) beim Sandspiel die Schaufel weg. Kira beginnt an zu weinen und schreien.“
Hier bekommt Emma ein direktes Feedback auf ihr Verhalten und kann erkennen, dass Kira traurig oder wütend ist. Vielleicht kommt auch ein größeres Kind auf dem Spielplatz dazu und tröstet Kira oder versucht einen Kompromiss zwischen den beiden kleinen Freundinnen zu finden.
Auch im Rollenspiel, das etwa ab 4 Jahren gehäuft auftritt lernen Kinder sehr stark ihre empathischen Anteile zu entwickeln. Sie schlüpfen dabei in die unterschiedlichsten Rollen, wie Kindergärtnerin, Mutter-Vater-Kind, Cowboy und Indianer etc. und lernen so die Welt aus ganz unterschiedlichen Perspektiven kennen.
- Geschichten erzählen und Vorlesen (Rollenidentifikation vs Fernsehen)
Schau dir mit deinem Kind Bücher an, lies Geschichten vor und erzähle viel: Kinder entwickeln so Einfühlungsvermögen: das Eintauchen in die Welt anderer, das Teilen ihrer Erlebnisse ist nicht nur spannend, es fördert gleichzeitig das Verständnis für andere und ihr Handeln. Dabei kannst du auch mit deinem Kind über die Gefühle der Figuren in der Geschichte sprechen, z.B.: „Was glaubst du, warum ist die kleine Maus so traurig? Was würdest du tun, wenn du die Maus wärst“ u.ä.. Dein Kind übt dadurch, sich in andere Rollen hineinzuversetzen und Situationen aus anderen Perspektiven zu betrachten.
Anders als beim Fernsehen, regen Bücher die Phantasie viel mehr an, so dass die Rollenidentifikation des Kindes mit der/dem HeldIn der Geschichte intensiver ausfällt. Außerdem lassen es Bücher leicht zu, Pausen zu machen, anzuhalten und sich in Ruhe eine bestimmte Situation/ ein bestimmtes Verhalten aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Letztlich verstärkt der Aspekt, dass beim Vorlesen eines Buches, ein Zweiter, meist ein Erwachsener dabei ist, die Kommunikation und auch das Eintauchen in unterschiedliche Sichtweisen massiv, denn gerade bei größeren Kindern kannst du auch deine persönliche Mama- oder Papa-Sichtweise miteinbringen, ganz im Sinne „Aha, das ist ja interessant, was du sagst. Wenn ich die Maus wäre, würde ich vielleicht … tun. Was meinst du denn dazu?“
- Sei Vorbild
Am Allermeisten aber lernen Kinder durch Vorbilder. Eltern, die ihr Kind geduldig trösten, die hilfsbereit sind und die Probleme anderer ernst nehmen, legen einen entscheidenden Grundstein für die Empathiefähigkeit ihrer Kinder.
Neben dem Vorleben von Empathie, halte ich es allerdings für eine gesunde Balance zwischen Egoismus und Empathie unerlässlich, dass Kinder ihre Eltern nicht ausschließlich in der Rolle der/des Mitfühlenden erleben.
Achte deshalb auch als Mama oder Papa auf deine eigenen Bedürfnisse und gönn dir etwas. Das kann ein entspannendes Bad einmal die Woche sein, Joggen gehen, eine regelmäßige Auszeit für einen Nachmittag/Abend pro Woche, gemeinsame Paarzeit als Eltern u.ä.. Wichtig ist, dass dein Kind auch erlebt, dass du auch an dich und deine Wünsche denkst, Grenzen setzt und etwas für dich tust – und zwar in authentischer Balance zwischen deinen eigenen Bedürfnissen und denen deiner Familie.
Wenn es das erlebt, kann aus ihm ein Erwachsener werden, der gut abwägt zwischen seinen Bedürfnissen und den Empfindungen seiner Mitmenschen.
Ich hoffe, Dir hat mein Artikel gefallen! Besonders ans Herz legen möchte ich Dir meine Artikel zu den Themen Wut und Aggression, Konflikte und Schulprobleme.
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Deine Heike